Erfahrungen
Wir haben das Waisenhaus bereits verlassen und sind noch ein paar Tage ans Meer gefahren, bevor wir am 06. Juli nach Hause fliegen. Zeit zum Erholen, etwas Gewicht aufzupäppeln und über das Leben im Waisenhaus in Begoro nachzudenken.
Es war ein tränenreicher Abschied – auf beiden Seiten. Bevor wir gegangen sind, haben die Kinder für uns extra nochmals die Ghana-Hymne gesungen „God bless our homeland Ghana“. Es war schwer, zu gehen…..
Wir haben sechs Monate am Leben im Waisenhaus teilgenommen. Da entstehen Beziehungen und Bindungen und trotz aller Widrigkeiten und Probleme waren wir sehr gerne hier und möchten die Zeit niemals missen.
Wir haben eine neue Tür aufgemacht in unserem Leben und die Bandbreite der Erfahrungen ist groß. Über die Lebensumstände im Waisenhaus, z.B. kein fließendes Wasser, einfachste Ernährung, Latrinenbenutzung, anfangs kein Licht, unser kleines Zimmer etc. habe ich allerdings schon ausreichend geschrieben. Erstaunlich, wie schnell man sich an solche Verhältnisse gewöhnt und letztlich gar nicht mehr darüber nachdenkt.
Ebenso habe ich bereits auch über Reisen im Land, Kultur, Religion, Sicherheit usw. berichtet.
Im Abschlussbericht deshalb die Konzentration auf das Wichtigste, die Erfahrungen mit den Menschen um uns herum.
„Ghana Se’w Akwaaba – Willkommen in Ghana“, diesen Satz haben wir des öfteren gehört und er war immer ehrlich gemeint.
Wir haben freundliche und zufriedene Menschen getroffen und Glück hat bei ihnen nicht unbedingt etwas mit dem Plus auf dem Kontoauszug, dem Aussehen des Autos, der Hautfarbe oder gar mit der Qualität der Kleidung zu tun. Die Grundstimmung ist überwiegend heiter. Dazu kommt, das Musik und Tanz in diesem Lande einfach immer dazugehören. Glückliche und unglückliche Anlässe werden zu regelrechten Tanzveranstaltungen umfunktioniert mit der passenden Musik dazu. So kommt es auch zu einer der samstäglichen Lieblingsbeschäftigungen, der Gang zu einer Beerdigung, wenn sonst nichts los ist. Ebenso ist die ausgeprägte Gastfreundschaft ein wesentlicher Bestandteil der Kultur. Ghanaer sind stolz auf ihr Land und auf sich und möchten dies den Besuchern auch zeigen.
Trotzdem verschwindet die Illusion vom armen, aber netten und glücklichen Schwarzen sehr schnell. Tagtäglich wird man auch mit der Unterentwicklung konfrontiert: Unzureichende Gesundheitsvorsorge, niedrige Lebenserwartung, Korruption, Analphabetentum, Aberglaube, Wohnungsnot, hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Bezahlung und vieles mehr. Insbesondere auf dem Land leben die Menschen von der Hand in den Mund. Die Kinder müssen schon von klein auf hart mitarbeiten.
Bei unserer Arbeit an den Projekten im Waisenhaus hat mich der Ghanaian Way of Life aber auch manchmal zur Verzweiflung gebracht. Wertesysteme und Auffassungen sind unseren genau entgegengesetzt. Es ist zum Beispiel völlig normal, stundenlang auf einen Bus zu warten, mit den Fingern zu essen, Babies auf dem Rücken zu tragen, Lasten auf dem Kopf zu befördern, Wasser aus Plastikbeuteln zu trinken oder aus Autofenstern heraus einzukaufen. Ungeduldig darf man hier nicht sein. Einer der Lieblingssprüche lautet „there is no hurry in life“. Zeit hat eine völlig andere Bedeutung. Ich habe einen weiteren Spruch dazugefügt mit „Management by may be“. Man muss den Drang zur Eile bremsen und ich bin des öfteren auch auf totales Unverständnis gestossen, wenn ich Vorhaben gepusht habe. War mir aber auch manchmal egal. Der Direktor, die Staff, die Lehrer haben mich letztlich dann doch im Interesse der Weiterentwicklung unterstützt nachdem mir vorher das Projektmanagement mehr oder weniger aufs Auge gedrückt wurde.
Einige von den angstossenen Aktivitäten werden sie weiterführen, andere werden auch wieder einschlafen. So ist es eben……
Besonders wichtig ist deshalb für uns auch die Tatsache, dass die durchgezogenen größeren Einzelprojekte von der Sache her alle nachhaltigen Ansatz haben. Beispielsweise wird den Kindern das Licht bleiben und durch die Dachsanierung bleiben die Klassenzimmer und Schlafräume trocken. Unter dem neuen Küchendach können sie im Trockenen essen.
Mittelpunkt unseres Lebens und unserer Arbeit im Waisenhaus waren natürlich die Kinder. Ihretwegen sind wir gekommen und wir wussten nicht genau, was uns erwartet. Wir haben mit ihnen gegessen, gelacht, getanzt, gesungen und gespielt.
Wir haben sie getröstet bei Wewehchen oder wenn sie Heimweh hatten. Wir haben sie bei Stürzen verarztet und manchmal haben sie regelrecht kleine Kratzer gesucht, um ein Pflaster zu bekommen. Wir waren mit ihnen im Krankenhaus, haben mit ihnen Hausaufgaben gemacht und gelernt. Es war eine wunderbare Zeit und wir konnten ihnen zumindest während unseres Aufenthaltes die Familie ein bisschen ersetzen. Sie haben es auch genossen und immer wieder, auch schon von den Kleinen, haben wir „Thank you, God bless you“ gehört. Sie waren sehr dankbar für die Unterstützung und die Freude bei einem besonderen Essen oder das Leuchten in ihren Augen bei einem kleinen Geburtstagsgeschenk war Entschädigung genug für unsere Arbeit.
Es ist unser Ziel, den Kindern auch zukünftig zu helfen. In welcher organisatorischen Form, wird sich zeigen.
Eine der großartigsten Erfahrungen für uns war die Unterstützung des Waisenhauses durch Freunde in der Heimat und in Übersee. Diese Wertschätzung und das Vertrauen in unsere Arbeit hätten wir uns niemals träumen lassen. Doris und ich haben zwar unsere Energie und Arbeitskraft in das Projekt eingebracht, ohne die große finanzielle Unterstützung wäre aber nur ein kleiner Teil dessen, was wir erreicht haben, möglich gewesen.
Wir möchten uns deshalb bei allen nochmals herzlich bedanken. Wir haben auch mit dem Direktor des Waisenhauses, Staff und Lehrern und natürlich den Kindern immer wieder darüber gesprochen und es ist ihnen bewusst, dass es fern in anderen Ländern Menschen gibt, die an sie denken und das Waisenhaus in Begoro unterstützen.
Noch ein paar ganz persönliche Zeilen zu Doris. Dass ich mich auf sie verlassen kann, weiß ich natürlich. Wie sie mich aber unterstützt und was sie hier im Projekt geleistet hat, war phantastisch. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Sie hat sich um unsere Ernährung gekümmert, unsere medizinische Versorgung, unseren „Haushalt“ und war der ausgleichende Faktor, wenn ich mal explodiert bin und unsere Freunde hier überfordert habe. Zudem hat sie von morgens bis abends die Kleinen betreut, vom Waschen und Zähneputzen bis zu den Hausaufgaben und zu Bett gehen. Alle in Begoro werden sie sehr vermissen.
Mich werden sie eher ein bisschen anders in Erinnerung behalten. Da war doch so ein Obruni, für den immer alles schon gestern erledigt sein sollte und bei dem wir während der Arbeitszeit nie schlafen durften. Wenn es sein mußte, fielen auch mal deutliche Worte. Das gehört eben auch dazu, wenn man etwas erreichen will, und wir haben glaube ich viel erreicht.
Gute Freunde sind wir aber trotzdem geworden und manchmal habe ich sie auch schlafen lassen. Sie brauchen’s eben. There is no hurry in life…..
Zum Abschluss noch ein ghanaisches Sprichwort, das mir besonders aufgefallen ist:
„Das Huhn weiß, das der Tag anbricht, läßt jedoch den Hahn krähen“.
Warum ich das schreibe? Alle sprechen immer über Kulturunterschiede. Manchmal glaube ich, unsere Kulturen sind gar nicht so weit voneinander entfernt.
Bild: Staff Schule und Waisenhaus